Ist Treue überhaupt noch zeitgemäß heutzutage?

“Es lebe die freie Liebe!” schreien die einen. “Casual Dating ist tot.” meinen die anderen. Die Wahrheit dürfte wie so oft irgendwo dazwischen liegen. Wie es um die Treue innerhalb einer Partnerschaft bestellt ist, hängt also einerseits von der persönlichen Einstellung zum Thema ab. Andererseits ist die Wahrnehmung dessen, was heutzutage noch zeitgemäß ist eine Frage des sozialen Umfelds.

Seitensprünge, Polygamie und Polyamorie gab es über alle Zeitalter hinweg. Schon die Könige, Kaiser und Pharaonen der Antike unterhielten neben ihrer offiziellen Hauptfrau meist noch mehrere Nebenfrauen oder Mätressen. Unvergessen sind auch die Haremsdamen, die für viele unzertrennlich mit dem Image des orientalischen Altertums verbunden sind. Was aber auffällt: Bei den Personen, die gerne mal den Partner wechselten, handelt es sich vornehmlich um Männer. Doch woran liegt das?

Fremdgehen – eine männliche Tradition?

Beim Fremdgehen sind häufig Männer die treulosen Tomaten. Dabei verweisen viele gerne auf die männlichen Instinkte und Beispiele zum Sexualverhalten aus dem Tierreich. So besteht ein Löwenrudel zum Beispiel ganz natürlich aus einem männlichen Löwen und mehreren Löwinnen. Auch verbleiben lediglich weibliche Nachkommen zeitlebens im Rudel, wohingegen männliche Nachkommen zum Zeitpunkt ihrer Geschlechtsreife aus der Sippe verstoßen werden.

Bei Wölfen, Hirschen und sogar einigen unserer nächsten Artverwandten wie etwa Gorillas sieht es ähnlich aus. Der männliche Alpha beansprucht hier das Vorrecht, sich mit den Weibchen zu paaren. Um dieses Vorrecht zu erstreiten, kommt es regelmäßig zu Machtkämpfen zwischen den Männchen. Das meist bis aufs Blut und nicht selten mit tödlichem Ausgang für den unterlegenen Verlierer. Der Gewinner kann sich seine Sexualpartnerinnen dagegen nach dem Kampf frei und zahlreich wählen.

Ist es also vielleicht ein uraltes, ungeschriebenes Naturgesetz, das die Untreue fest im sozialen Modell des Menschen verankert? Oder handelt es sich bei diesem vermeintlichen Naturgesetz eher um die Glorifizierung von Männlichkeitsritualen im Kampf um Vorherrschaft und sexuelle Freizügigkeit?

Individuelle Beziehungsmodelle sind zeitlos

Es ist nämlich nicht so, als gäbe es im Tierreich nicht genügend Gegenbeispiele. Elefanten bleiben sich ihr Leben lang treu und trauern bitterlich um den Tod ihres Partners. Killerwale, die nebenbei bemerkt zu den intelligentesten Säugetieren der Welt gehören, sind als Paar ebenfalls unzertrennlich. Und selbst unter den Menschenaffen gibt es Arten wie die Gibbons, die für ihre Monogamie bekannt sind.

Daneben gibt es auch Tierarten, bei denen die Frau die Strippen zieht. Die schwarze Witwe verspeist ihren “Gatten” beispielsweise genüsslich nach dem Sexualakt, sodass der gar nicht viel Zeit hat, fremdzugehen. Und bei den Nacktmullen ist es die Königin der Kolonie, die als einzige Nachwuchs produzieren darf. Dafür steht ihr zur Abwechslung mal ein männlicher Harem zur Verfügung, der sich ausschließlich mit der Chefin paaren darf.

Ähnlich vielfältig wie die Beziehungsmodelle der Tiere sind auch die des Menschen. Die Frage, ob Treue zeitgemäß ist, kann demnach als Ansichtssache bezeichnet werden. Manche legen Wert darauf und andere eben nicht. Womit Sie langfristig glücklicher werden, steht dann auf einem anderen Blatt.

Hat Untreue ein Verfallsdatum?

Jetzt wirkt dieses eintönige Pärchentum aber gerade auf viele junge Leute irgendwie abtörnend. Der Drang nach Freiheit und Ungezwungenheit ist vor allem unter den Millennials unwahrscheinlich groß geworden. Das liegt nicht zuletzt auch an einer gnadenlosen Leistungsgesellschaft, die vielen jungen Menschen wie ein Gefängnis aus Pflichtbewusstsein und Verantwortungsgefühl erscheint. Da will man nicht auch noch privat ständig nach der Pfeife eines anderen tanzen.

“No Strings attached” lautet daher das Motto einer ganzen Generation, die lieber drei Friends with Benefits hat als eine große Liebe. Unsere moderne Gesellschaft macht den Fans dieser Philosophie die Untreue auch recht einfach. Anonyme Singlebörsen und Seitensprungportale lassen grüßen. Casual Dating galt darum in den letzten Jahren als recht hip und trendig. Die Reihen der Befürworter beginnen sich jedoch zu lichten.

Nicht nur, dass die Casual Dating Szene neben aufregenden Sexabenteuern mittlerweile auch eine Wagenladung gebrochene Herzen produziert hat. Je älter man wird, desto schwerer lässt sich ein Mangel an Loyalität nämlich auch weiterverfolgen. Werte verändern sich. Das Jonglieren mit verschiedenen Sexpartnern wird auf Dauer anstrengend. Und nur allzu oft, entblößen sich angebliche Fans der freien Liebe selbst als gekränkte Betrogene, die das Bloß-nicht-treu-sein-Spielchen eher aus Trotz mitmachen, um das angeknackste Selbstwertgefühl zu kompensieren. Wenn dann noch der Zahn der Zeit am eigenen Sex-Appeal nagt, ist es mit der großen Auswahl an willigen Untreuen auch schnell vorbei.

Erschwerend hinzu kommt, dass mit fortschreitendem Alter auch die Frage nach dem Lebensabend näher rückt. Wer wird sich um einen kümmern, wenn man ein Leben lang niemandem treu sein konnte? Gute Alterspflege ist teuer und im Altersheim steppt jetzt auch nicht gerade der Bär, wenn es um Abwechslung und Abenteuer geht. Überhaupt wird es irgendwann doch recht einsam, wenn Intimpartner ständig kommen und gehen. Spätestens bei dieser Erkenntnis entschließen sich dann doch viele dazu, sich weniger zeit- und dafür mehr ihrem Alter gemäß zu verhalten.