Wie lange halten Beziehungen heutzutage wirklich?

Die Scheidungsrate in Deutschland betrug 2019 gut 35,79 Prozent. Das ist deutlich mehr als in den 1950ern, als das Statistische Bundesamt erstmals eine Scheidungsstatistik veröffentlichte. Grundsätzlich gibt es heutzutage deutlich mehr Scheidungen als früher. Woran das liegt und wie lange Beziehung heute im Durchschnitt halten, verraten wir Ihnen nachstehend.

Scheidungen – eine Folge der Emanzipation?

In den biblischen Erzählungen gibt es eine Frau, die der patriarchalisch geprägten Kirche immer ein Dorn im Auge war: Lilith. Als Dämonin und Kindsmörderin verschrien, soll sie die erste Frau Adams gewesen sein. Ihm ebenbürtig aus Lehm erschaffen, war sie dem Mann nicht untertan und lehnte es kategorisch ab, ihm zu dienen. Aus Protest verließ sie den Garten Eden, als Gott sie anwies, sich Adam zu fügen, und ließ sich selbst durch die nach ihr ausgeschickte Engelschar nicht dazu erweichen, wieder zurückzukehren.

Die Geschichte der Lilith ist bezeichnend für ein Phänomen, das im Scheidungsgeschehen der modernen Welt keine unbedeutende Rolle spielt. Denn dass es im Ehe-Paradies öfter mal kracht, hat nicht zuletzt auch mit der Emanzipation der Frau zu tun. Während sich nämlich das ganze Land über Zwangsehen in anderen Kulturkreisen echauffiert, wird nur allzu gerne vergessen, dass es diese Art der Eheschließung einst auch in Deutschland gab.

Es ist noch gar nicht so lange her, da waren arrangierte Ehen hierzulande noch Gang und gäbe. Vor allem auf dem Land war das Verheiraten junger Frauen oft noch bis weit in die 1970er-Jahre Chefsache der Eltern. Mädchen wurden nicht auf weiterführende Schulen geschickt, weil sie später sowieso Hausfrauen werden sollten. Sich scheiden zu lassen, war damals ein Unding und das Ehegelübde “Bis dass der Tod uns scheide” ein Manifest, an dem man einfach nicht rüttelte. Zudem genossen Geschiedene, ebenso wie unverheiratete Frauen nicht gerade den besten Ruf. Selbst dann nicht, wenn hinter der Scheidung triftige Gründe steckten wie etwa häusliche Gewalt oder männliche Untreue.

Heute ist das weibliche Geschlecht seiner antiquierten Rolle als bedingungslos folgsames Heimchen am Herd längst entwachsen. Frauen machen Karriere, sind unabhängig. Wenn sie eine Beziehung eingehen, dann ganz sicher nicht auf Geheiß des Elternhauses. Sie können für sich selbst sorgen, weshalb ein Mann nur dann Chancen hat, wenn er ihr Leben bereichert. Und wenn es in der Beziehung kriselt, scheuen emanzipierte Frauen auch nicht davor zurück, den Mann vor die Türe zu setzen.

Ist die Jugend beziehungsunfähig?

Nur den Frauen den schwarzen Peter zuzuschieben wird der hohen Scheidungsrate dann aber doch nicht gerecht. Dass Beziehungen derzeit im Schnitt nicht länger als 14,8 Jahre halten – in Österreich sind es mit 11 Jahren sogar noch weniger – schreiben zahlreiche Sozialwissenschaftler auch einer Beziehungsunfähigkeit junger Leute zu. Das hat verschiedene Gründe.

So sind viele junge Männer zum Beispiel mit dem Modell Frau 2.0 überfordert. Während viele Frauen heute wesentlich fortschrittlicher erzogen werden, genießen viele Männer nach wie vor den Status als Mamas Liebling. Sie werden verhätschelt, von Muttern liebevoll umsorgt und wundern sich dann, wenn die moderne Frau so gar nicht wie Mama ist. Ihr männliches Rollenbild als Ernährer der Partnerin zieht auch immer schlechter. Das bedeutet für viele Herren eine echte Identitätskrise und sie ergreifen die Flucht vor dem Machtkampf mit einer starken Frau. Unkomplizierter Gelegenheitssex ist da viel angenehmer als sich den eigenen, konservativen Dämonen zu stellen.

Junge Damen sind aber oftmals auch nicht besser. Die frisch gewonnene Emanzipation wird in sexuelle Freiheit investiert. Der Mann ist allenfalls ein netter Zeitvertreib für zwischendurch und beim ersten großen Krach macht man dann halt Schluss. Fest binden, warum? Kinder? Nein, Danke! Die Karriere hat Vorrang und bei der derzeitigen Lage der Welt überlegt man es sich ohnehin zweimal, ob man eine Familie gründet.

Kommt es bei diesen widerstreitenden Ansichten dann doch einmal zu einer Beziehung, muss Miteinander erst mal neu erlernt werden. Das mag in der Anfangsphase noch gut klappen, wenn Schmetterlinge im Bauch zahlreich und die Motivation groß ist. Nach ein paar Jahren versiegt dann aber häufig die Euphorie. Die für eine erfolgreiche Partnerschaft notwendige Beziehungsarbeit wird lästig, langweilig. Man kommuniziert weniger, lebt sich auseinander.

Es gibt aber noch Hoffnung

Das größte Problem moderner Beziehungen ist also die Herausforderung, sie auch nach modernen Standards neu zu definieren. Unkonventionelle Rollenverteilungen erfordern unkonventionelle Beziehungsmodelle.

  • Frau geht arbeiten, Mann nimmt Vaterschaftsurlaub
  • Fernbeziehung über Landesgrenzen hinweg
  • Zwei Wohnungen, ein gemeinsames Lebensziel
  • Patchwork-Familie mit oder ohne gemeinsamen Wohnsitz
  • und vielleicht auch mal eine Sitzung beim Paartherapeuten

Die moderne Partnerschaft kennt viele Wege, um sich neu zu erfinden. Offenbar mit Erfolg. Denn seit 2011 ist die Anzahl der Scheidungen wieder rückläufig. Eine Statistik aus dem Jahr 2017 zeigt, dass sich im Vergleich zum Vorjahr rund 9000 Paare weniger scheiden ließen und somit die Scheidungsrate um 5,5 Prozent nach unten senkten. Es sieht daher ganz so aus, als könnten Mann und Frau ihre zeitgenössischen Differenzen doch noch erfolgreich beilegen.